„Lasst auf Worte Taten folgen“ – Teilnahme an einer Prototyp-Konferenz in Amsterdam

Ein Beitrag von Sandra Fietkau

„Bitte seid um halb zwei wieder hier und bringt jeweils zwei interessante Geschichten aus der Nachbarschaft mit!“ So lautete zum Beispiel der Arbeitsauftrag am Dienstagvormittag während einer dreitägigen Konferenz in Amsterdam, an der ich zusammen mit Nicci Blok, Susanne Göbel, Ottmar Miles-Paul und etwa 45 anderen Teilnehmer*innen aus den Niederlanden, Kanada und den USA teilgenommen habe.

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Die Konferenz trug den Titel „Lasst auf Worte Taten folgen – die Inklusions-Karawane“ und sollte ein Prototyp werden für eine regelmäßig stattfindende, europäische Veranstaltung zu den Themen „Inklusion, Gemeinwesen, Teilhabe, Gesellschaft“. Auf Einladung von Erwin Wieringa, einem Amsterdamer Experten, trafen sich vom 01. bis zum 03. Mai 2017 verschiedene Menschen, um gemeinsam zu lernen, zu überlegen und von den jeweiligen Erfahrungen zu berichten. Unterstützt wurden wir dabei von Lynda Kahn, Cathy Hollands und Jack Pearpoint von Inclusion Press aus Kanada, von Patti Scott und Dave Hasbury von Neighbors International sowie Doug Watson aus den USA. Alle der sechs internationalen Gäste haben viel Erfahrung zu den Themen und konnten uns während der drei Tage interessante Ideen weitergeben.

„Die Art von Fragen, die Du stellst, sind bedeutsam für die Art von Gemeinschaft, die Du schaffen möchtest.“ (Erwin Wieringa)

In der Tat führte unser Arbeitsauftrag, Gespräche in der Nachbarschaft zu führen, dazu, dass wir alle mit sehr spannenden Geschichten zurückkamen. Es waren Geschichten von Begegnungen mit Leuten, die uns im Amsterdamer Viertel Oost begegnet waren und uns etwas aus ihrem Leben oder Interessantes aus dem Stadtviertel berichtet haben. Susanne und Ottmar zum Beispiel liefen direkt der für das Stadtviertel beauftragten Dame für die Belange von Menschen mit Behinderung in die Arme. Welch ein Zufall! Ich traf auf einen sehr hilfsbereiten Ladenbesitzer, der vor zehn Jahren sein Geschäft in Berlin aufgab, um einen Laden für Technik- und Handyzubehör in Amsterdam aufzumachen. Ein sehr freundlicher Mann, der mir viel über das Stadtviertel berichtete und anbot, dass er mir für Fragen oder mit Tipps immer zur Verfügung stehen würde. Und die anderen hatten noch über viele weitere spannende Gespräche und Begegnungen zu berichten.

Insgesamt hatten wir die Gelegenheit, drei Tage in das Leben dort vor Ort einzutauchen. Zum einen, indem unsere Konferenz mitten im Stadtviertel und an verschiedenen öffentlichen Orten stattfand – so haben sich Arbeitsgruppen beispielsweise im Buchladen und im Café nebenan oder im Fahrradladen in der Nachbarstraße getroffen. Die Treffen in der großen Gruppe fanden im „Nowhere“ [deutsch: Nirgendwo – oder noch passender zu unserer Konferenz: „now here“ also hier und jetzt 😊] statt – einem kleinen kommunalen Theater, das uns seine Räume für die drei Tage überlassen hat und von dessen kreativer Atmosphäre wir uns bereichern ließen.

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Zum anderen, indem wir ganz nebenbei auch die örtlichen Restaurants, Cafés und Geschäfte nutzen und viele Eindrücke vom Leben vor Ort sammeln konnten. Daher blieb es bei unserer „Schatzsuche in der Nachbarschaft“ nicht nur bei Gesprächen und Begegnungen, sondern führte auch zu dem einen oder anderen guten Buch, schönen Postkarten, vielen Leckereien und, und, und. Toll war zum Beispiel auch das Abendessen bei „Robin Food“, einer Initiative, die aus Lebensmitteln, die sonst weggeworfen worden wären, zwei Mal in der Woche ein leckeres 3-Gänge-Menü kocht.

Die Konferenz war so aufgebaut, dass es immer am Vormittag kurze Präsentationen von Leuten gab, die interessante Dinge tun und uns mit ihren Berichten inspirieren konnten. So stellte sich zum Beispiel Elena Simmons vor – eine niederländische Künstlerin, die vielfältige öffentliche (Kunst-)Aktionen entwickelt hat. Meine Favoriten aus ihrer langen Liste an Ideen war zum einen „Sonntag = Lerntag“, einer Aktion, bei der jeden Sonntag Nachbar*innen in einem Viertel Workshops für andere Nachbar*innen anbieten und so Interessen, Talente und Fähigkeiten geteilt werden. Zum anderen fand ich ihre Idee des „Menschen-Museums“ toll – einem Museum, bei dem anstatt Gegenständen und Artefakten Menschen „ausgestellt“ werden. Diese stehen bereit für Informationen, Gespräche, Begegnungen. Zum Beispiel könnte man dann in einem Menschen-Museum über Amsterdam Einheimische treffen, wichtige Personen aus der Stadt, Botschafter und andere Personen, die einem spannende Dinge über Amsterdam berichten.

Daneben gab es noch Berichte zu ganz vielfältigen Themen, zum Beispiel:

  • Medizin [Ärzt*innen brauchen Zeit, um Patient*innen zuzuhören, denn diese wissen eigentlich selbst, was sie brauchen – man muss ihnen nur Gelegenheit geben, es zu sagen]
  • Schule [Schulen brauchen Vielfalt und ausreichend finanzielle Ressourcen]
  • Inklusives Theater von Menschen aus dem Stadtteil [mit und ohne Migrationshintergrund, Behinderung, Theater-Erfahrung…] für Menschen aus dem Stadtteil
  • Unterstützer*innenkreise [ich konnte ein wenig über meine Erfahrungen berichten, die wir dann in einer gemeinsamen Diskussion vertieft haben]

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Am letzten Tag rundeten eine Bootsfahrt durch die Kanäle Amsterdams, ein Chor-Konzert sowie ein gemeinsam gekochtes Abendessen die Konferenz ab. Für mich war es sehr interessant, eine Menge neuer Leute kennen zu lernen und neue Erfahrungen zu machen – vor allem die Gespräche und Begegnungen brachten mir neue Ideen, frische Energie und die Bestätigung, dass wir aktiv sein müssen, um andere für unsere Anliegen und Themen zu begeistern. Gerade Aktivitäten in und mit Nachbarschaften können zu tollen Netzwerken vor Ort führen, die lohnenswert sind und den Menschen vor Ort viele Vorteile bringen können.

Rückblickend gab es sicher auch einige Punkte, die man an der Prototyp-Konferenz noch verbessern muss, wenn sie dann beim nächsten Mal vom Prototyp zur offiziell ersten „Inklusions-Karawane-Konferenz“ wird. So waren nur sehr wenige Menschen mit Beeinträchtigungen oder Behinderungserfahrung als Teilnehmende dabei. Auch insgesamt waren wir eine recht homogene Gruppe und könnten unter dem Motto der Inklusion mehr Vielfalt vertragen. Ebenfalls fände ich es spannend, die Menschen, die uns bei Gesprächen im Stadtviertel begegneten, auch in die Konferenz einzubinden, zum Beispiel bei einem gemeinsamen Fest am Ende. Alles in allem war es ein gelungener Prototyp, der Lust macht auf mehr und sicher eine gute Grundlage bietet für die nächste Durchführung.

An dieser Stelle einen ganz herzlichen Dank an Erwin für diese tolle Idee, für seine Organisation und Durchführung, an die Expert*innen aus Nordamerika für ihre Impulse und natürlich auch an Nicci, Susanne, Ottmar und alle anderen Teilnehmer*innen für unsere tollen Gespräche und die spannenden drei Tage!

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