Durch das Bundesteilhabegesetz (BTHG) sind in Deutschland ab dem 1.1.2018 zum einen die Teilhabe-, Hilfe- und Gesamtplanung durch die Leistungsträger im neuen Sozialgesetzbuch IX (SGB IX-neu) neu gestaltet, vereinheitlicht und stärker ausdifferenziert worden, zum anderen wird zum ersten Mal übergreifend der Begriff der Assistenzleistung in § 78 SGB IX-neu definiert und beispielhaft wesentliche Assistenzbereiche aufgeführt. Als ein wesentlicher Bereich der Assistenz wird dort die „persönliche Lebensplanung“ (§ 78 Abs. 1 SGB IX-neu) genannt. Hier besteht ein Ansatzpunkt zukünftig für Personen mit Beeinträchtigung eine umfassende persönliche Lebensplanung als qualifizierte Assistenz durch entsprechend geschulte Fachkräfte zu begleiten und mit Methoden der Persönlichen Zukunftsplanung gestalten zu können. Diese kann in Übergangsphasen z.B. von der Kindertagesstätte in die Schule, von der Schule in das Erwachsenenleben, von dem Beruf in den Ruhestand, nach Krisen, aber auch lebensbegleitend immer wieder sinnvoll sein.
In diesem Beitrag werden zunächst die Neuregelungen der Teilhabe-, Hilfe- und Gesamtplanung sowie der Assistenz zur persönlichen Lebensplanung im neuen SGB IX ab 1.1.2018 skizziert, ehe auf die Qualitätskriterien bei der Umsetzung eingegangen wird. In einem weiteren Teil werden dann die Unterschiede zwischen der neuen Teilhabe-, Hilfe- und Gesamtplanung und Persönlicher Zukunftsplanung aufgezeigt und erläutert wie Persönliche Zukunftsplanung als unabhängige Assistenz zur persönlichen Lebensplanung organisiert und im Rahmen des neuen SGB IX finanziert werden könnte.
Neuregelung der Teilhabe-, Hilfe- und Gesamtplanung sowie der Assistenz zur persönlichen Lebensplanung im SGB IX
Ab 1.1.2018 gelten in Deutschland mit Inkrafttreten der ersten Teile des neuen SGB IX neue Regelungen für die Teilhabe-, Hilfe- und Gesamtplanung der Leistungsträger:
Alle Rehabilitations-Leistungen – auch in der Eingliederungshilfe – müssen zukünftig beantragt werden. Dann soll aber ein Reha-Antrag ausreichen, um alle erforderlichen Rehabilitations- und Eingliederungsleistungen zu bekommen, auch wenn z.B. die Krankenkasse, die Eingliederungshilfe und die Bundesagentur für Arbeit für unterschiedliche Leistungen zuständig bleiben. Dazu wird ein Rehabilitationsträger der „leistende Rehabilitationsträger“ (§14 SGB IX-neu), der ein umfassendes Prüf- und Entscheidungsverfahren in Gang setzt und die erforderlichen Leistungen im Rahmen eines verbindlichen trägerübergreifenden Teilhabeplanverfahrens (§§ 19 – 23 SGB IX-neu) koordiniert. Die Leistungen sollen auf der Basis möglichst nur einer Begutachtung (§ 17 SGB IX-neu) und mit ähnlichen Verfahren der Bedarfsermittlung (§ 13 SGB IX-neu) aufeinander abgestimmt „wie aus einer Hand“ erfolgen, auch wenn, wie gesagt, weiterhin viele „Hände“ im Spiel sein können. Es wird spannend werden, ob und wie es in der Praxis gelingt, die bisher eher unkoordiniert und parallel arbeitenden verschiedenen Leistungsträger in einem Verfahren effektiv zu koordinieren.
Die Teilhabeplanung (§§ 19 – 23 SGB IX-neu) ist also zukünftig der Oberbegriff für das trägerübergreifende verwaltungsmäßige, standardisierte Verfahren der Bedarfsfeststellung und der Bewilligung von Leistungen zur Teilhabe aller Rehabilitationsträger. Es kommt immer dann zum Tragen, wenn mehr als ein Rehabilitationsträger beteiligt ist oder der Leistungsberechtigte die Erstellung eines Teilhabeplans wünscht. Im Rahmen des Verfahrens wird ein verbindlicher Teilhabeplan (§ 19 SGB IX-neu) erstellt, der alle erforderlichen Teilhabeleistungen umfassen soll. Im Laufe des Verfahrens kann mit Zustimmung des Leistungsberechtigten eine Teilhabekonferenz (§ 20 SGB IX-neu) mit dem Leistungsberechtigten, einer Vertrauensperson und allen beteiligten Rehabilitationsträgern erfolgen. Auf Wunsch oder mit Zustimmung der Leistungsberechtigten können Rehabilitationsdienste, Rehabilitationseinrichtungen und Jobcenter sowie sonstige beteiligte Leistungserbringer an der Teilhabeplankonferenz teilnehmen. Am Ende des Prozesses stehen ein Teilhabeplan und entsprechend aufeinander abgestimmte widerspruchsfähige Bescheide der Rehabilitationsträger. Das Entscheidungsverfahren soll bei mehreren beteiligten Rehabilitationsträgern nicht länger als sechs Wochen, bei Durchführung einer Teilhabeplankonferenz nicht länger als zwei Monate dauern.
Ist die öffentliche Jugendhilfe für die Durchführung der Teilhabeplanung verantwortlich, gelten für sie die Regelungen für den Hilfeplan (§36 SGB VIII) ergänzend zu den Regelungen der Teilhabeplanung.
Für Leistungen der Eingliederungshilfe wird vom Träger der Eingliederungshilfe ein Gesamtplanverfahren eingeleitet, für das es neue, umfangreiche Regelungen gibt ( §§ 117 ff. SGB IX-neu). Sind mehrere Leistungsträger beteiligt, wird das umfangreichere Gesamtplanverfahren Teil des Teilhabeplanverfahrens (vgl. § 119 Abs. 3 SGB IX-neu).
Der Träger der Eingliederungshilfe hat die Leistungen nach § 118 SGB IX- neu unter Berücksichtigung der Wünsche des Leistungsberechtigten festzustellen. Die Ermittlung des individuellen Bedarfes des Leistungsberechtigten muss durch ein Instrument der Bedarfsermittlung erfolgen, das sich an der Internationalen Klassifikation der Funktionsfähigkeit, Behinderung und Gesundheit (ICF) orientiert. Das Instrument hat die Beschreibung einer nicht nur vorübergehenden Beeinträchtigung der Aktivität und Teilhabe in den folgenden Lebensbereichen vorzusehen:
- Lernen und Wissensanwendung,
- Allgemeine Aufgaben und Anforderungen,
- Kommunikation,
- Mobilität,
- Selbstversorgung,
- häusliches Leben,
- interpersonelle Interaktionen und Beziehungen,
- bedeutende Lebensbereiche und
- Gemeinschafts-, soziales und staatsbürgerliches Leben“
Die Länder sind nach § 118 SGB IX-neu ermächtigt durch Rechtsverordnung die Instrumente zur Bedarfsermittlung für die Eingliederungshilfe im Rahmen der Gesamtplanung festzulegen. Es wird daher hoffentlich zumindest landeseinheitliche Verfahren der Gesamtplanung geben. Auf Bundesebene sollen im Rahmen der Bundesarbeitsgemeinschaft für Rehabilitation (BAR) gemeinsame Empfehlungen der Rehabilitationsträger zu Grundsätzen der Instrumente zur Ermittlung des Rehabilitationsbedarfs (§ 13 SGB IX-neu) entwickelt werden, an denen sich die Rehabilitationsträger orientieren sollen.
Das Gesamtplanverfahren sieht mit Zustimmung des Leistungsberechtigten die Möglichkeit einer Gesamtplankonferenz (§ 119 SGB IX-neu) analog zur Teilhabeplankonferenz vor. Am Ende des Prozesses steht hier der Gesamtplan (§ 121 SGB IX-neu), der der Steuerung, Wirkungskontrolle und Dokumentation des Teilhabeprozesses dienen soll. Der Träger der Eingliederungshilfe kann zudem noch mit dem Leistungsberechtigten konkrete Teilhabeziele in einer Teilhabezielvereinbarung festlegen (§ 122 SGB IX-neu).
Die Teilhabeplanung als übergeordnetes trägerübergreifendes Planungsinstrumentarium aller Rehabilitationsträger sowie die Gesamtplanung des Trägers der Eingliederungshilfe und die Hilfeplanung des Trägers der öffentlichen Jugendhilfe sind die zukünftigen verwaltungsmäßigen, standardisierten Verfahren der Bedarfsfeststellung und der Bewilligung von Leistungen zur Teilhabe von Menschen mit Beeinträchtigung. Sie liegen in der Zuständigkeit der Rehabilitationsträger.
Menschen mit Behinderung haben Anspruch auf Beratung durch die Rehabilitationsträger, dazu sollen bei allen Rehabilitationsträgern sogenannte Ansprechstellen geschaffen werden. Gerade im Bereich der Eingliederungshilfe wird der Anspruch auf Beratung und Unterstützung in § 106 SGB IX-neu zukünftig noch einmal stärker ausformuliert.
Durch die ab 2018 neu geschaffene ergänzende unabhängige Teilhabeberatung (§ 32 SGB IX-neu) soll bereits vor der Beantragung von Leistungen ein unabhängiges, niedrigschwelliges Beratungsangebot zur Verfügung stehen, in dem in Sinne der Peer-Beratung auch entsprechend qualifizierte Peer-Berater mit Beeinträchtigung Menschen mit Beeinträchtigung und ihre Familien beraten.
Das Bundesteilhabegesetz definiert in § 78 SGB IX-neu zum ersten Mal übergreifend den Begriff der Assistenzleistung. Als ein wesentlicher Bereich werden dort Leistungen zur „persönlichen Lebensplanung“ (§ 78 (1) SGB IX-neu) genannt. Hier besteht ein Ansatzpunkt zukünftig mit Personen mit Beeinträchtigung eine umfassende persönliche Lebensplanung als qualifizierte Assistenz durch entsprechend geschulte Fachkräfte begleiten und z.B. mit Methoden der Persönlichen Zukunftsplanung gestalten zu können. Im Sinne einer möglichst selbstbestimmten und eigenständigen Gestaltung des Alltags sollen die Leistungsberechtigten zukünftig auf der Grundlage des Teilhabeplans selbst über die konkrete Gestaltung aller Assistenz-Leistungen hinsichtlich Ablauf, Ort und Zeitpunkt der Inanspruchnahme entscheiden können (§ 78 (2) SGB IX-neu).
Qualitätskriterien für eine gute Teilhabe-, Hilfe- und Gesamtplanung
Qualitätskriterien für eine gute Teilhabe-, Hilfe- und Gesamtplanung können aus dem neuen Sozialgesetzbuch IX selbst und der UN-Behindertenrechtskonvention als verbindliche Orientierung für die Auslegung der entsprechenden Regelungen und das Ausüben des pflichtgemäßen Ermessens im Verwaltungshandeln abgeleitet werden:
- So muss Ziel aller Teilhabeleistungen sein, die Selbstbestimmung und die volle, wirksame und gleichberechtigte Teilhabe am Leben in der Gesellschaft von Menschen mit Beeinträchtigung zu fördern, Benachteiligungen zu vermeiden und ihnen entgegenzuwirken (§ 1 SGB IX-neu).
- Um ein möglichst selbstbestimmtes Leben trotzt Behinderung führen zu können, haben die Leistungsberechtigten ein Wunsch- und Wahlrecht (§ 8 SGB IX-neu), was bei der Entscheidung über die Leistungen und bei der Ausführung der Leistungen zur Teilhabe konsequent berücksichtigt werden muss. Leistungen, Dienste und Einrichtungen müssen den Leistungsberechtigten möglichst viel Raum zur eigenverantwortlicher Gestaltung ihrer Lebensumstände lassen und ihre Selbstbestimmung fördern (§8 Abs. 3 SGB IX-neu). Die Leistungsberechtigten haben zukünftig auf der Grundlage des Teilhabeplans das Recht selbst über die konkrete Gestaltung aller Assistenz-Leistungen hinsichtlich Ablauf, Ort und Zeitpunkt der Inanspruchnahme entscheiden zu können (§ 78 Abs. 2 SGB IX-neu).
- Sie können die Leistung auch mit einem Persönlichen Budget (§ 29 SGB IX-neu) außerhalb von Einrichtungen selbst gestalten. Dafür muss auch die z.B. für Menschen mit kognitiven Beeinträchtigungen notwendige Budgetassistenz möglich sein.
- Der Teilhabeplan soll so ausgestaltet sein, dass den Leistungsberechtigten unter Berücksichtigung der Besonderheiten des Einzelfalles (§ 104 SGB IX-neu) eine umfassende Teilhabe am Leben in der Gesellschaft zügig, wirksam, wirtschaftlich und auf Dauer ermöglicht wird (§ 19 Abs. 3 SGB IX-neu).
- Eine zukünftige Anforderung im Rahmen der Instrumente der Bedarfsermittlung im Rahmen der Teilhabe- und Gesamtplanung wird sein, dass sich diese an der Internationalen Klassifikation der Funktionsfähigkeit, Behinderung und Gesundheit (ICF) orientieren müssen.
In § 117 SGB IX-neu sind selbst wichtige Maßstäbe für das Gesamtplanverfahren festgelegt:
- „Beteiligung des Leistungsberechtigten in allen Verfahrensschritten, beginnend mit der Beratung,
- Dokumentation der Wünsche des Leistungsberechtigten zu Ziel und Art der Leistungen,
- Beachtung der Kriterien
- transparent,
- trägerübergreifend,
- interdisziplinär,
- konsensorientiert,
- individuell,
- lebensweltbezogen,
- sozialraumorientiert und
- zielorientiert,
- Ermittlung des individuellen Bedarfes,
- Durchführung einer Gesamtplankonferenz,
- Abstimmung der Leistungen nach Inhalt, Umfang und Dauer in einer Gesamtplankonferenz unter Beteiligung betroffener Leistungsträger.
(2) Am Gesamtplanverfahren wird auf Verlangen des Leistungsberechtigten eine Person seines Vertrauens beteiligt.“
Es wird darauf ankommen diese Maßstäbe bei der Entwicklung eines bürgerfreundlichen Teilhabeplanungs-, Hilfe- und Gesamtplanverfahrens inhaltlich gut auszufüllen und konsequent umzusetzen.
- Menschen mit Beeinträchtigung und ihre Familien wollen niedrigschwellig und umfassend über ihre Möglichkeiten der Leistungen zur Teilhabe informiert werden.
- Die ergänzenden unabhängigen Teilhabeberatungsstellen (§ 32 SGB IX-neu) werden dabei eine Schlüsselfunktion einnehmen. Deshalb ist es wichtig, bereits hier über personenzentrierte, am Sozialraum orientierte und inklusiv ausgerichtete Angebote zu informieren, auf alternative Gestaltungs- und Finanzierungsmöglichkeiten durch das Persönliche Budget hinzuweisen und gerade, wenn die individuelle Perspektive noch nicht klar ist, sowie die Möglichkeiten einer umfassenderen Persönlichen Zukunftsplanung als Assistenz zur persönlichen Lebensplanung aufzuzeigen.
- Das Teilhabeplanungs-, Hilfe- und Gesamtplanverfahrens sollte für die Beteiligten einfach und schnell sein. Ihnen sollen individuelle Wahlmöglichkeiten bei den Leistungen zur Teilhabe vorgestellt werden. Die Bedarfsfeststellung sollte den Unterstützungsbedarf benennen, ohne dass die Defizite einer Person besonders betont werden müssen.
- Die Leistungsberechtigten sollten nicht das Gefühl bekommen, dass das Teilhabeplanungs-, Hilfe- und Gesamtplanverfahrens von den Rehabilitationsträgern im Wesentlichen zur Abwehr und Begrenzung von Leistungsansprüchen genutzt wird. Dies führt zu Widerspruch und Klage und bindet letztlich unproduktiv viel Kraft auf allen Seiten, ohne dass die Teilhabeziele wirkungsvoll erreicht werden.
- Die Leistungsberechtigten benötigen Raum sich z.B. im Rahmen einer persönlichen Lebensplanung mit ihren Träumen und Zielen, ihrer Behinderung und ihren Stärken und Fähigkeiten auseinanderzusetzen und für sich passende Unterstützungsarrangements im Sozialraum zu erkunden. Deshalb sollte z.B. eine umfassende Persönliche Zukunftsplanung am Anfang eines Prozesses der Teilhabeplanung möglich sein.
- Wichtig ist es, dafür zu sorgen, dass der Leistungsberechtigte in der Rolle der selbstbestimmt planenden Person bleibt und nicht von sogenannten Fachleuten verplant wird, auch wenn der Leistungsträger die Teilhabeplanung koordiniert.
- Die Qualität des Teilhabeplanungs-, Hilfe- und Gesamtplanverfahrens wird davon abhängen, inwieweit es gelingt auf der Basis einer umfassenden Persönlichen Zukunftsplanung passende individuelle Unterstützungsarrangements zu schaffen anstatt eine Platzierung in Maßnahmen und Einrichtungen vorzunehmen.
- Dazu braucht es entsprechende Angebote. Die mögliche Teilhabe von Menschen mit Beeinträchtigung wird deshalb wesentlich von dem Vorhandensein entsprechender inklusionsorientierter, personenzentrierter und sozialräumlicher Unterstützungsarrangement abhängen. Die Träger der Eingliederungshilfe haben nach § 95 SGB IX-neu im Rahmen ihrer Leistungsverpflichtung eine personenzentrierte Leistung für Leistungsberechtigte unabhängig vom Ort der Leistungserbringung sicherzustellen (Sicherstellungsauftrag). Die Ergebnisse aus den Gesamtplanungen sollen dabei bei den Strukturplanungen wie einer regionalen Teilhabeplanung berücksichtigt werden. Nach § 94 SGB IX-neu haben zukünftig die Länder den Auftrag auf „flächendeckende, bedarfsdeckende, am Sozialraum orientierte und inklusiv ausgerichtete Angebote von Leistungsanbietern hinzuwirken“ und die Träger der Eingliederungshilfe bei der Umsetzung ihres Sicherstellungsauftrages zu unterstützen. Dies würde den von der UN-Behindertenrechtskonvention geforderten Wechsel von einem Denken in Einrichtungen und Maßnahmen hin zu einem Denken in Unterstützung realisieren.

Die Unterschiede zwischen der neuen Teilhabe-, Hilfe- und Gesamtplanung und Persönlicher Zukunftsplanung
Die neue, stärker personenzentrierte, sozialraumorientierte und an der Internationalen Klassifikation der Funktionsfähigkeit, Behinderung und Gesundheit (ICF) orientierte Teilhabe-, Hilfe- oder Gesamtplanung des Leistungsträgers bietet gute Ansatzpunkte für eine passgenauere personenzentrierte Bedarfsermittlung und Planung.

Das SGB IX ermöglicht wie oben aufgezeigt mit der Fokussierung auf Selbstbestimmung und Teilhabe, dem Grundsatz der individuellen Hilfen, dem Wunsch- und Wahlrecht und der Möglichkeit eines persönlichen Budgets prinzipiell Partizipationsspielräume. Die tatsächlichen Partizipationsspielräume der Planenden hängen dabei einerseits von den strukturell im Gesetz jetzt verankerten Partizipationsrechten und anderseits maßgeblich von der Haltung der Professionellen ab. So entscheidet sich, ob aus dem Planenden ein Geplanter wird. In manchen Teilhabeplanverfahren erscheint bisher die Person in unzähligen Formularen mit formalen Angaben zu ertrinken. Dabei gerät die Frage, wer die Person ist, was sie ausmacht und sich in ihrem Leben wünscht, in den Hintergrund. Schriftliche Planung und Dokumentation drohen manchmal zur reinen Rechtfertigungsübung zu verkommen, die keine positiven Auswirkungen auf die Lebensqualität und die Zukunft der Person hat. Planen wird hier zur bürokratischen Verpflichtung auf dem Weg zur für die Person notwendigen Unterstützung der Teilhabe. So soll eine individuelle leistungsrechtliche Zuweisung von notwendigen Maßnahmen zur Erreichung von akzeptierten persönlichen Zielen gewährleistet werden.
In Großbritannien wurde im Rahmen des Konzeptes „Valuing People“ (Menschen wertschätzen), die Verpflichtung eingeführt, dass alle Menschen mit kognitiver Beeinträchtigung personenzentrierte Plänen haben müssen. Dies führte zu einer Flut von personenzentrierten Plänen, die jedoch oft nur wenig tatsächliche Veränderung und Teilhabe im Leben der Person nach sich zogen. Das Planen an sich war zum hinreichenden Ziel geworden. Deshalb ist wichtig darauf zu achten, dass der Plan nicht Ziel, sondern als Aktionsplanung Mittel zur tatkräftigen Unterstützung der lebendigen Teilhabe des Leistungsberechtigten im Gemeinwesen ist.
Im Rahmen einer Teilhabe-, Hilfeplan- oder Gesamtplankonferenz können zukünftig die Teilhabe-, Hilfe- oder Gesamtpläne beraten werden. Die planende Person hat kein Recht darauf , dass diese Konferenzen tatsächlich stattfinden. Wenn sie stattfinden, darf sie, ggf. mit einer Person ihres Vertrauens, teilnehmen. Die Zahl der Teilnehmenden aus dem persönlichen und familiären Umfeld ist aber eng begrenzt, so dass die Fachleute in der Überzahl sind. Ob Teilhabe-, Hilfeplan- oder Gesamtplankonferenzen eher zu einer für die Betroffenen unangenehmen „Anhörung“ oder zu einem bestärkenden Erlebnis von Selbstwirksamkeit werden, hängt auch zukünftig sehr von der Ausgestaltung und Grundhaltung der handelnden Personen ab. Vor einiger Zeit wurde mir von einer Teilhabeplankonferenz berichtet, in der sich eine beeindruckende Zahl von Professionellen versammelt hatte, die sich alle mit Namen, Einrichtung und Funktion vorstellten, ehe sich zuletzt die planende Person mit ihrem Namen vorstellte und hinzufügte „ich habe keine Funktion“, womit sie ihre Position in dieser Runde gut auf den Punkt brachte. Zu viele Teilhabeplankonferenzen waren in der Vergangenheit nicht personenzentriert, sondern Orte, an denen die Fachleute den unterstützten Personen sagen, was sie zu tun haben. Dass sich dies durch die neue Gesetzgebung ändern wird, wäre zu wünschen, bleibt aber fraglich. Welche persönlichen Ziele eines behinderten Menschen akzeptabel und welche Maßnahmen als notwendig erscheinen, bleibt letztendlich dem Urteil der Leistungsträger überlassen.
Für die Teilhabe ist es darüber hinaus entscheidend, welche Hilfen und Unterstützungsleistungen für die Teilhabe im Gemeinwesen tatsächlich zur Verfügung stehen. Plan wird bisher meist das, was im Hilfesystem vorrätig ist. Wird die Teilhabe-, Hilfe- oder Gesamtplanung primär dazu genutzt, Menschen mit Unterstützungsbedarf auf bestehende Maßnahmen zu verteilen und deren Finanzierung zu rechtfertigen oder ist sie ein Instrumentarium, um die individuell notwendige Unterstützung, orientiert an dem, was der Person wichtig ist, flexibel zu organisieren? Die mögliche Teilhabe von Menschen mit Beeinträchtigung wird wesentlich von dem Vorhandensein entsprechender inklusionsorientierter, personenzentrierter und sozialräumlicher Unterstützungsarrangement abhängen. Der oben erwähnte Gestaltungsauftrag der Länder nach § 94 SGB IX-neu geht dabei in die richtige Richtung.
Im Rahmen des Teilhabe-, Hilfe- und Gesamtplanung können sicher auch Methoden des personenzentrierten und sozialraumorientierten Planens eingesetzt werden. Dennoch haben die Persönliche Zukunftsplanung als Methode der Assistenz der persönlichen Lebensplanung und die Teilhabe-, Hilfe- oder Gesamtplanung des Leistungsträgers einen unterschiedlichen Charakter und Fokus: Während es sich bei der Teilhabe-, Hilfe- oder Gesamtplanung des Leistungsträgers sich um die vorgeschriebene, leistungsrechtliche Bedarfsermittlung und Zuweisung der im Einzelfall erforderlichen Leistungen handelt, die in einem möglichst kurzen Zeitraum von 2-8 Wochen erfolgen soll, ermöglicht die Assistenz bei der persönlichen Lebensplanung eine umfangreichere Persönliche Zukunftsplanung.
Bei einer Persönlichen Zukunftsplanung geht es zum Beispiel zunächst darum, alleine oder mit Hilfe eines selbst gewählten Unterstützungskreises eine Vorstellung von einer wünschenswerten Zukunft zu entwickeln und diese dann gemeinsam Schritt für Schritt umzusetzen. Persönliche Zukunftsplanung ist im Gegensatz zu einer Teilhabe-, Hilfe- oder Gesamtplanung freiwillig und wird mit einem selbst gewählten Kreis von Unterstützer*innen durchgeführt. Die Person selbst ist einladende Person, bestimmt die Regeln und die Gästeliste. Eingeladen werden Familienmitglieder, Freunde, Bekannte und eben auch hilfreiche Professionelle. Grundlage der Einladung ist die persönliche Beziehung und Freiwilligkeit, keiner muss qua Amt und Funktion kommen. Dies ist anders als bei einer Teilhabe- oder Gesamtplankonferenz, wo der Leistungsträger plant und einlädt, die meisten Teilnehmer*innen durch Amt und Funktion feststehen, die Person lediglich eine Person des Vertrauens mitbringen darf und die Regeln des Verfahrens und der Ablauf gesetzlich vorgeschrieben sind. Ausgangspunkt einer Persönlichen Zukunftsplanung ist oft ein persönlich empfundener Veränderungsbedarf und ein selbst gewählter Themenschwerpunkt der Planung. Das Format des Prozesses ist nicht vorgeschrieben, es gibt verschiedene methodische Möglichkeiten, die individuell ausgewählt und angepasst werden können. Persönliche Zukunftsplanungen werden von entsprechend ausgebildeten, unabhängigen Moderator*innen vorbereitet und moderiert, Planungen werden oft mit Bildern graphisch durch eine zweite graphische Moderator*in visualisiert. Persönliche Zukunftsplanung ist als längerfristiger Prozess angelegt und dient der kontinuierlichen Verbesserung der Lebensqualität und Erreichung von Zielen der Person. Eine Persönliche Zukunftsplanung mit der intensiven Beschäftigung mit der eigenen Person, den verschiedenen Möglichkeiten und Hindernissen, dem Erkunden der Träume und Herauskristallisieren der persönlichen Ziele und häufig mehreren Treffen mit einem Unterstützungskreis würde den Rahmen eines offiziellen Teilhabe-, Hilfe- oder Gesamtplanungsverfahrens sprengen. Nicht alle Menschen, die eine Persönliche Zukunftsplanung machen, haben Anspruch auf Leistungen zur Teilhabe. Nicht jedes persönliche Ziel erfordert eine Unterstützung durch offizielle Leistungen zur Teilhabe, andere sind ohne entsprechende Teilhabeleistungen nicht erreichbar.

Eine Persönliche Zukunftsplanung kann wiederum eine hervorragende Vorbereitung auf die offizielle Teilhabe-, Hilfe- oder Gesamtplanung sein. Gerade bei der Gestaltung von Übergängen oder wenn eine intensivere persönliche Lebensplanung gemacht werden soll, kann es deshalb sinnvoll sein, als erste Maßnahme der individuellen Teilhabe-, Hilfe- oder Gesamtplanung Assistenzleistungen zur persönlichen Lebensplanung zum Beispiel im Rahmen einer unabhängig moderierten Persönlichen Zukunftsplanung mit Unterstützungskreis zu bewilligen. Die Methoden der Persönlichen Zukunftsplanung bieten sich nämlich hervorragend an, die Assistenz zur persönlichen Lebensplanung fachlich anspruchsvoll zu gestalten und wie im SGB IX-neu vorgesehen „personenzentrierte“, „am Sozialraum orientierte“ und „inklusiv ausgerichtete“ Angebote (vgl. § 94, 95 SGB IX-neu) zu entwickeln.
Persönliche Zukunftsplanung als unabhängige Assistenz zur persönlichen Lebensplanung
Die Assistenz zur persönlichen Lebensplanung ist nicht nur denkbar als Teil eines umfassenden Angebotes von Assistenzleistungen, die in der Regel als „Paket“ bei einem Dienstleister eingekauft werden sollen. Es ergibt gerade bei der persönlichen Lebensplanung Sinn, zunächst einmal mit Hilfe einer unabhängigen Moderation herauszufinden, was die Person in ihrem Leben für Ziele erreichen will, wie sie leben möchte, welche Unterstützungsbedarfe sie hat und wie die Unterstützung erbracht werden soll. Sind diese Punkte zum Beispiel im Rahmen einer Persönlichen Zukunftsplanung mit einem Unterstützungskreis hinreichend geklärt worden, kann ich mir gezielt passende Assistenzleistungen bei entsprechenden Anbietern suchen und in einer offiziellen Teilhabe-, Hilfe- oder Gesamtplanung des Leistungsträgers meine Wünsche und Bedarfe hinsichtlich der Assistenz informiert und detailliert aufzeigen.
In Ontario in Kanada gibt es deshalb seit einigen Jahren die finanzierte Rolle der „unabhängigen Moderation“ (independent facilitation), die für eine Person unabhängig von Einrichtungen und Diensten eine Zukunftsplanung und Prozessbegleitung organisiert. Diese Moderator*innen arbeiten freiberuflich und sind nicht bei Einrichtungen, Diensten oder Leistungsträgern angestellt. Sie gestalten mit der unterstützten Person ihre Persönliche Zukunftsplanung, bereiten den Unterstützungskreis vor und moderieren ihn, stellen Kontakte zu Menschen vor Ort her, stärken die Person bei Verhandlungen und helfen bei der Organisation und Koordination von notwendigen Unterstützungsleistungen und ggf. der Verwaltung eines persönlichen Budgets (vgl. http://www.oifn.ca/) . Sie bieten aber selbst keine weitergehenden Assistenzdienste an. Ziel ist die personenzentrierte und sozialräumliche Unterstützung eines guten Lebens im Ort. Auch im deutschsprachigen Raum wäre es an der Zeit diese Formen der unabhängigen Persönlichen Zukunftsplanung zu erproben und zu implementieren. Die Finanzierung von Persönlichen Zukunftsplanungen als Assistenz-Leistungen zur persönlichen Lebensplanung könnten eine Möglichkeit dafür sein.
Weiterführende Literatur:
Beyerlein, Michael, Rambausek-Haß, Tonia, Partizipation in der Bedarfsermittlung, Was ändert sich durch das Bundesteilhabegesetz?, impulse (2018), H. 3, 21 auch online https://www.reha-recht.de/fachbeitraege/beitrag/artikel/beitrag-d28-2018 / / https://www.reha-recht.de/fachbeitraege/beitrag/artikel/beitrag-d29-2018/
Budinger, Klaus, Sylupp, Ariane, „Ziele für sich alleine festlegen und nicht mehr für andere“, in: Gromann, Petra (Hrsg.), Teilhabeorientierte Steuerung, Bonn 2015
Deutsche Vereinigung für Rehabilitation (DVfR), Bedarfsermittlung in den Bundesländern, 28.12.2018, https://www.reha-recht.de/infothek/beitrag/artikel/bedarfsermittlungsinstrumente-in-den-bundeslaendern/
Doose, Stefan: Meinen ganz persönlichen Bedarf ermitteln – Persönliche Zukunftsplanung. In: Orientierung (2019), H.2
Doose, Stefan: Neue Planungen geplant – neue Chancen für eine persönliche Zukunftsplanung? Neuregelungen der Teilhabe-, Hilfe- und Gesamtplanung sowie der Assistenz zur persönlichen Lebensplanung. In: impulse (2018), H. 84, 6-13.
Doose, Stefan/ Johannsen, Birte: Neue Regeln für die Teilhabe-, Hilfe- und Gesamtplanung, Persönliche Lebensplanung als fachliche Assistenzleistung. Fragen an und Einschätzungen zur Rolle der Heilpädagogik bei Planungsprozessen im neuen SGB IX. In: heilpädagogik.de (2018), H. 1, 40-44.
Engel, Heike; Schmitt-Schäfer; Thomas: Gesamtplanverfahren nach dem BTHG: personenzentrierte Instrumente zur Bedarfsermittlung. In: Archiv für Wissenschaft und Praxis der sozialen Arbeit (2019), H. 1, S.38-48.
Gromann, Petra, Umsetzungsbegleitung BTHG, Der Integrierte Teilhabeplan „ITP“ als Bedarfsermittlungsinstrument in mehreren Bundesländern, 5.12.2018, https://umsetzungsbegleitung-bthg.de/w/files/links-und-downloads/gromann-einfuehrung-itp-in-mehreren-bundeslaendern.pdf
Schian, Marcus; Giraud, Bernd: Teilhabeplanung – ein Kernerlement des trägerübergreifenden Reha-Prozesses. . In: Archiv für Wissenschaft und Praxis der sozialen Arbeit (2019), H. 1, S.50-62
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